Nach wie vor scheint es in unserer modernen, aufgeklärten Zeit ein Tabu zu sein zur Psychotherapeutin zu gehen.
Mir fällt auf, dass es Menschen zunächst schwer fällt, sich selbst einzugestehen, dass körperliche Einschränkungen ohne medizinische Ursache oder ein durchgehendes Gefühl von "Ich-bin-nichts-wert" (das sind nur 2 Beispiele von vielen) einen psychischen Ausgangspunkt haben können. Diese Erkenntnis bedeutet für viele oft etwas negativ Behaftetes. Hat man das erst einmal erkannt, muss man das auch mal verdauen können. Und dann kommt schon die nächste Hürde: Nimmt man Psychotherapie, wie sie der Hausarzt oder Spezialist empfohlen hat, in Anspruch oder bringt man das "schon selbst irgendwie hin"? Viele Fragen und viel Neues, das zuallererst mal überfordernd sein kann.
Wo liegt nun die Krux begraben?
Es erstaunt mich doch immer wieder, dass Psychotherapie, obwohl psychische Erkrankungen erwiesener Maßen auf dem Vormarsch sind (etwa ein Viertel der europäischen Bevölkerung leidet an Depression, Burn-out, Panikattacken & Co) nach wie vor ein Tabu zu sein scheint. Da kommen schnell Fragen auf wie "Wie erkläre ich das meinen Freunden?" oder "Wie werden sie auf mich reagieren, wenn sie das erfahren?". Aus Angst vor Reaktionen aus dem sozialen Umfeld oder auch davor, dass man als schwach angesehen wird, verzichten viele Menschen auf das Angebot, welches ihnen helfen könnte.
Die Vermischung von Befürchtungen aus dem Freundes-/Familien-/Berufskreis hindert wohl Menschen daran, sich rechtzeitig oder bereits präventiv entsprechende Unterstützung durch die Therapeutin zu holen. Auch scheint immer wieder ein Gefühl von Schwäche mitzuschwingen, was das Ganze nicht einfacher macht. Denn, wer will denn schon schwach sein in einer Zeit, in der Jeder und Jede funktionieren soll?
Ein weiterer Punkt dürfte die Tatsache sein, dass doch eine beträchtliche Menge von Menschen denkt, wenn man keinen physischen Ursprung ausmachen kann, dann stimmt wohl was mit dem Gehirn nicht. Da kommen einem doch gleich so abwertende Beschimpfungen in den Sinn. Mit denen will sich nun auch keiner identifizieren.
Und dann gibt es doch noch "Kann ich mir das überhaupt leisten?". Tja, Psychotherapie ist in den wenigsten Fällen gratis und dauert dann doch meist etwas länger (Man will ja nachhaltig was verändern, oder?). Aber denkt man daran, wie viel Geld Menschen für Luxus- oder Beautyartikel ausgeben, dann wäre doch auch etwas für die innere Schönheit leistbar. Man könnte dies auch als ein nachhaltiges & langfristiges Investment in sich selbst und seine Gesundheit sowie sein Leben sehen. Geht es nämlich deinem Inneren, also deiner Psyche gut, so wird man das auch an deinem Äußeren schnell erkennen. Und ein Kompliment für dein strahlendes Lächeln oder deine glückliche Ausstrahlung ist doch 1000 Mal besser als für dein 47tes Paar neue Schuhe, oder?
Und zu guter Letzt, die Hürde mit der Kontaktaufnahme: Hat man sich soweit arrangiert, dass man nun das therapeutische Angebot in Anspruch nehmen möchte, muss man sich auch noch einen Termin vereinbaren. Telefonisch scheint oft schwieriger zu sein, da man sich einen Kopf darüber macht, was man da alles sagen soll. Ich zum Beispiel vereinbare mit meinen Klienten und Klientinnen gerne ein Erstgespräch ohne dass sie mir dazu viel am Telefon erzählen müssen. Ich möchte gerne ganz für sie da sein und ich merke, dass ich das am Telefon nicht so gut kann wie im direkten Kontakt. Wenn er oder sie mir dennoch am Telefon etwas mitteilen möchte, dann ist das natürlich möglich. Mittlerweile kann man sich bei vielen auch schon einen Termin via Email vereinbaren, was die Gefahr, dass die Therapeutin spontan nachfragt und man nicht weiß, was man sagen soll, nimmt.
Und dann kommt es zum Erstgespräch. Nervös oder aufgeregt zu sein ist vollkommen normal. Aber keine Sorge, es kann nichts schief gehen. Ein Erstgespräch dient in erster Linie zum Kennenlernen.
Und zum Schluss noch etwas ganz Wichtiges: Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten unterliegen nach dem Psychotherapiegesetz einer Verschwiegenheitspflicht.
Nun ja, es scheint so, als ob es viele Faktoren gibt, welche die Eine oder den Anderen davon abhalten sich einen Termin für ein Erstgespräch bei der Therapeutin zu vereinbaren. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass das Tabu Psychotherapie Stück für Stück entabuisiert wird und sich mehr Menschen trauen in sich und ihre psychische Gesundheit zu inventieren.
P.S.: Ich habe überwiegend die weibliche Form verwendet, da ich es selbst bin. Es gilt natürlich auch immer die männliche, es soll keineR dadurch diskriminiert werden.
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